Stellungnahme zu den Vorschlägen der SWK bezüglich des Lehrkräftemangels

Die KMK entdeckt den Lehrkräftemangel, den der Deutsche Lehrerverband auf 40.000 Fachkräfte beziffert.  Anders als der Ukrainekrieg oder eine globale Pandemie ist der Lehrermangel nichts, was unverhofft über Deutschland hereinbricht. Dass der KMK nun vorgeschlagen wird, das Problem durch „zeitlich befristete Notfallmaßnahmen“ auf dem Rücken der verbleibenden Lehrkräfte zu lösen, deckt ein eklatantes Politikversagen auf: Nicht nur wurden die sich ankündigenden Missstände jahrelang verschlafen, auch bieten die Vorschläge der SWK kaum zukunftsträchtige Ansätze, um den Lehrkräftemangel nachhaltig zu beheben. Stattdessen sind sie reine Symptombekämpfung:

Da wird auf die hohe Quote an Teilzeitarbeit verwiesen und von den entsprechenden Lehrkräften gefordert, auf Vollzeit aufzustocken, ohne nach den Gründen zu fragen, warum so viele Lehrer:innen lieber auf Lohn verzichten, als ein volles Deputat zu unterrichten. 

Da werden größere Klassen gefordert – euphemistisch als „Anpassung der Klassenfrequenz“ bezeichnet – ohne zu bedenken, dass dies auch mit einem deutlich höheren Korrektur- und Verwaltungsaufwand für die einzelnen Lehrkräfte einher geht, geschweige denn von der unter diesen Umständen nahezu unmöglich gelingenden Beziehungsarbeit zu den einzelnen Schüler:innen. 

Da werden – um dem ganzen die Krone aufzusetzen – mehr Achtsamkeitstrainings vorgeschlagen, was zeigt, dass die KMK durchaus um die psychische Belastung der Beschäftigten weiß. Statt ihrer staatlichen Fürsorgepflicht nachzukommen und die Arbeitsbedingungen gesundheitsfördernd umzugestalten, wird jedoch auch diese Verantwortung noch den einzelnen Lehrkräften auferlegt, die zwischen der 33. und der 34. korrigierten Klassenarbeit noch eine Runde Yoga einlegen sollen, um bloß nicht umzukippen und das Problem noch zu vergrößern!

All diese Vorschläge atmen den preußischen Geist von Befehl und Unterordnung, aus dem das deutsche Schulsystem geboren wurde und der es in einer demokratischen Gesellschaft zu einem Anachronismus macht, der selbst motivierte Lehramtsanwärter:innen zunehmend abschreckt. 

Will die KMK nicht nur den Lehrkräftemangel an sich, sondern auch seine Ursachen bekämpfen, muss sie das bestehende System auf seine Passung hin befragen: Wie passt ein starr hierarchisch gegliedertes System zu dem Ideal einer demokratisch-partizipativen Zivilgesellschaft? Wie passen zunehmend standardisierte Leistungsmessungen zu der angestrebten individuellen Selbstentfaltung? Wie passen die Selektion und Normierung junger Menschen zu den Herausforderungen unserer Zeit, die so dringend kreative Lösungswege abseits des Bewährten erfordern? 

Diese Fragen müssen vor dem Hintergrund der beiden wichtigsten Entwicklungen des 21. Jahrhunderts gestellt werden: Zum einen führt die Digitalisierung die bisher praktizierte Wissensvermittlung ad absurdum, ist doch alles Wissen der Welt stets nur einen Klick entfernt. Zum anderen stellt die Klimakrise alle Sinnhaftigkeit des Gelernten in Frage, muss doch jeder Lerninhalt daraufhin abgeklopft werden, welchen Wert er im Angesicht von Wassermangel und Ernährungsknappheit einmal haben könnte. Das heutige Bildungssystem zollt keiner der beiden Entwicklungen den gebührenden Tribut und führt so zu einer wachsenden Entfremdung vom Unterrichtsgeschehen, sowohl bei  Lehrkräften als auch bei Schüler:innen. Diese Sinnkrise führt auf beiden Seiten des Klassenzimmers zu psychischen Problemen, die nicht durch die eine oder andere Achtsamkeitsübung überbrückt werden können.   

Um den Lehrkräftemangel radikal (= an der Wurzel packend) zu bekämpfen, muss das heutige Schulsystem unter den Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts beleuchtet werden. Dass dies nicht im Zuge von „Notfallmaßnahmen“ passieren kann, ist selbstverständlich. Nichtsdestotrotz müssen diese –  will die KMK nicht zurück in den preußischen Befehlston fallen –  einhergehen mit Fahrplänen für eine echte Bildungswende

Ein erster Schritt könnte hier sein, den amtierenden Lehrkräften auf Augenhöhe zu begegnen und sie in die Umgestaltung des Schulsystems einzubinden, ähnlich einem Bürger:innenrat. Auch bietet die Roadmap BNE der Unesco zahlreiche Vorschläge, wie das Bildungssystem nachhaltig gestaltet und so auch attraktiv für nachwachsende Lehrkräfte werden kann. 

Den Vorschlag, Lehrkräfte von Verwaltungsaufgaben zu befreien, begrüßen wir dabei ausdrücklich, ebenso wie die Einstellung weiterer sozialpädagogischer und psychologischer Fachkräfte. Hierbei darf jedoch nicht vergessen werden, dass Lernen immer auch eine Beziehungskomponente hat, die viele Pädagog:innen gerne bewusster und achtsamer gestalten würden. Um dies im Alltag umsetzen zu können, fordern wir auch die Reduktion standardisierter Leistungsmessungen, die den Schüler:innen in ihrer persönlichen Entwicklung nicht gerecht werden und den Lehrkräften Unmengen an Korrekturaufwand zumuten, der Kraft und Zeit für die Gestaltung einer wirklich nachhaltigen Lernumgebung raubt. 

Wir wissen nicht, welches Wissen unsere Schüler:innen in einer mehrere Grad wärmeren Welt brauchen werden. Wir wissen aber, dass sie lernen werden müssen, in ihr zu leben. Das erste Ziel muss daher sein, die Lust am Lernen zu erhalten. Heutige Schüler:innen assoziieren mit Bildung und Lernen jedoch Druck und Fremdbestimmung. Dass wir dadurch unseren Bildungsauftrag verfehlen, muss allen Lehrkräften bewusst oder unbewusst klar sein. Dass diese mit Frust oder gar Zynismus reagieren, wissen alle, die sich einmal länger in einem Lehrerzimmer aufgehalten haben. Oberstes Ziel der Bildungswende muss also sein, Schule wieder zu einem Ort zu machen, den Lehrer:innen wie Schüler:innen gerne aufsuchen, um dort mit Neugier und ohne Angst vor Fehlern für eine Zukunft zu lernen, von der auch wir Lehrkräfte nicht wissen, wie sie aussehen wird. 

Dieses zukunftsfähige Bildungssystem zu gestalten ist – wie all die anderen Wenden unserer Zeit – eine gewaltige Aufgabe. Sie erfordert von den Verantwortlichen viel Mut und ihr Gelingen wird sich nicht im Laufe einer Legislaturperiode zeigen. Doch darf sich die KMK jetzt nicht wegducken. Als Teachers for Future haben wir viele Ideen, wie die Schule von morgen aussehen kann, und bieten uns gerne als Ansprechpersonen an, um diesen Prozess mitzugestalten. 

Damit deutsche Schulen kein Ort mehr für Burn-outs bieten, sondern für Burn-for: Wir brennen schon heute für eine nachhaltige, partizipative, zukunftsfähige Bildung. Und wir stecken liebend gerne neue Kolleg:innen damit an – wenn man uns lässt. 

Lena Wagner, AG Presse

Quellen:

Empfehlungen der SWK an die KMK: https://www.kmk.org/aktuelles/artikelansicht/einsatz-optimieren-bedarf-senken-swk-empfiehlt-zeitlich-befristete-notmassnahmen-zum-umgang-mit-dem.html

Roadmap BNE: https://www.unesco.de/bildung/bildung-fuer-nachhaltige-entwicklung/bne-2030-roadmap-deutsch-verfuegbar

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